T. Herzig: Savonarola’s Women

Cover
Titel
Savonarola’s Women. Visions and Reform in Renaissance Italy


Autor(en)
Herzig, Tamar
Erschienen
Chicago 2008: University of Chicago Press
Anzahl Seiten
XVI+333 S., Ill. und Karten
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Georg Modestin, Bern

Beim vorliegenden Band handelt es sich – entgegen den Erwartungen, die sein Titel vielleicht wecken könnte – um keine «histoire scandaleuse». Vielmehr geht es bei «Savonarolas Frauen» um das Nachleben des am 23. Mai 1498 in Florenz zusammen mit zwei seiner Mitbrüder gehenkten und daraufhin verbrannten dominikanischen Reformpredigers und Volkstribunen Girolamo Savonarola, dessen schwieriges Andenken noch Jahrzehnte nach seinem Ableben zu hitzigen Kontroversen führte. Zur Anhängerschaft Savonarolas gehörten namentlich eine Reihe von sogenannten «sante vive», heilsmässig lebenden Frauen, die im konkreten Fall meist dem Dritten Orden der Dominikaner angehörten – die Mailänderin Arcangela Panigarola war als Augustinerin eine die Regel bestätigende Ausnahme – und durch ihre visionären Erlebnisse zur Verbreitung savonarolischen Gedankengutes beitrugen. So bekräftigten sie verschiedentlich den Heiligenstatus von Savonarola, kurz nachdem jener wegen Ungehorsams gegenüber der Ordensleitung und dem Papst sowie wegen falschen Prophetentums hingerichtet worden war; dazu äusserten sie Kritik an der Weltlichkeit des herrschenden Borgia-Papstes Alexanders VI. und des Klerus, womit sie zentrale Elemente von Savonarolas Reformdiskurs aufgriffen. Auf ihre ureigenste Art waren sie so auf einer kirchenpolitischen Bühne zu hören, die Frauen sonst verwehrt blieb.

Fra Girolamo selbst hatte sich weiblicher Mystik gegenüber stets höchst misstrauisch gezeigt, was die Verfasserin zur Formulierung des hübschen Paradoxes veranlasst, der tote Savonarola habe sich mit seinem wiederholten postumen Erscheinen der übernatürlichen Seite der weiblichen Spiritualität gegenüber viel empfänglicher gezeigt, als es der lebende, historisch greifbare Savonarola je getan hätte (190). In dessen Nachfolge suchten denn auch die Florentiner Anhänger des streitbaren Predigers das Aufkommen unabhängig gesonnener weiblicher Mystikerinnen («independent-minded female mystics») zu unterbinden, während dasselbe Phänomen weiter nördlich z. T. geradezu gepflegt wurde. Ein savonarolisch eingestellter Fürst wie Ercole I. d’Este hielt in Ferrara seine schützende Hand über Lucia Brocadelli; andere «Prophetinnen» genossen die Unterstützung ihres – in der «Savonarola-Frage» im übrigen tief gespaltenen – dominikanischen Umfeldes. Überhaupt zeigt Tamar Herzigs überaus lesenswertes Buch, das auf der Auswertung einer Vielzahl ungedruckter Quellen basiert, in welchem Masse die hier porträtierten weiblichen Stimmen eines geneigten männlichen Milieus bedurften, um Gehör zu finden, sei dies in der Person eines fürstlichen Gönners, sei es in Form engagierter Beichtväter, Korrespondenten und Hagiographen. Als betrüblicher Beleg für diese Erkenntnis dient das Schicksal der bereits erwähnten Lucia Brocadelli, die nach dem Ableben ihres Protektors im Januar 1505 in eine Jahrzehnte andauernde Isolation verfiel, bis mit Ercole II., dem Enkel Ercoles I., 1534 wiederum ein Parteigänger Savonarolas die Regierung Ferraras erlangte.

Zu den grössten Qualitäten von Tamar Herzigs aus einer Dissertation hervorgegangenen Studie gehört die Einbettung der savonarolischen «sante vive» und ihrer Geschichte in diejenige der pro- bzw. antisavonarolischen Kontroversen an der Schwelle des Mittelalters zur Frühen Neuzeit und damit in die politische Geschichte der italienischen Halbinsel. Damit wird auch deutlich, dass es sich bei den beschriebenen Geschehnissen nicht um ein Kapitel einer isoliert zu betrachtenden «Frauengeschichte» handelt, sondern um einen integralen Bestandteil der allgemeinen kirchlichen und politischen Historie. Dass dieser Abschnitt heute vergleichsweise wenig bekannt ist, liegt an einem weiteren Paradox: Bei ihrem Versuch, Fra Girolamo in der nachtridentinischen Zeit zu rehabilitieren, begegneten dessen späte Anhänger den «lebenden Heiligen» des frühen 16. Jahrhunderts zwar mit grösster Sympathie; da sie aber bestrebt waren, alle subversiv erscheinenden Elemente aus den savonarolischen Quellen zu tilgen, bearbeiteten sie auch die Lebensbeschreibungen dieser Frauen in dem nämlichen Sinne und löschten damit gerade ihre Besonderheit.

Wie facettenreich das Thema ist, hat Tamar Herzig bereits in einem vorab publizierten Aufsatz gezeigt. Unter den Anhängern der «sante vive» findet sich kein geringerer als der Dominikaner Heinrich Kramer, Autor des berüchtigten «Hexenhammers» (1486/87), der zwar nicht als Förderer der weiblichen Spiritualität in Erscheinung getreten ist…, der aber die – katholischen — «lebenden Heiligen» in seiner Polemik gegen die böhmischen Ketzer ins Spiel brachte. Wie körperlich der Kontakt Kramers zu Lucia Brocadelli war, lässt sich daran ermessen, dass er ihre Stigmata nach eigenem Bekunden anlässlich der von ihm am 2. März 1500 selbst veranlassten Untersuchung nicht nur sah, sondern auch küsste (Tamar Herzig, «Witches, Saints, and Heretics. Heinrich Kramer’s Ties with Italian Women Mystics», in: Magic, Ritual, and Witchcraft 1/1 [2006], 24–55). Damit legt Tamar Herzig, gleichsam als «Nebenprodukt» ihrer Beschäftigung mit den «lebenden Heiligen», einen gewichtigen Baustein einer noch zu schreibenden Biographie des Inquisitors und Dämonologen Kramer frei, dessen «Nach-Malleus-Jahre» noch beträchtliche Forschungslücken aufweisen.

Wenn wir überhaupt Kritik an Herzigs Arbeit formulieren wollen, so hat sie die Form von Desideraten. Diese betreffen zwei Aspekte, die in «Savonarola’s Women» zwar angesprochen werden, über die man indes mehr wissen möchte: Zum einen geht es um die Aussage, die «Frauen Savonarolas» seien Teil eines umfassenderen Phänomens, nämlich des Aufkommens von heilsmässig lebenden Frauen in Norditalien im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert (192). Zum anderen entzündet sich die Neugier an kursorischen Angaben über das Auftreten von antisavonarolischen Visionärinnen (22–23, 150). Alles in allem aber ist Tamar Herzigs Studie jedoch ungemein anregend und nicht zuletzt spannend zu lesen.

Zitierweise:
Georg Modestin: Rezension zu: Tamar Herzig, Savonarola’s Women. Visions and Reform in Renaissance Italy, Chicago/London, The University of Chicago Press, 2008. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 103, 2009, S. 318-319.

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